Es gibt viele Wege, einen Roman zu planen – manche beginnen mit einem groben Plot, andere mit einem Geistesblitz für eine Idee, einer Prämisse, einem zentralen Konflikt oder sogar mit dem letzten Satz.

Für mich war der richtige Einstieg ein anderer: die Protagonistin.

Bei meinem Roman Wilder Creek  war es nicht die Handlung, die zuerst da war – sondern Alex. Ich wusste nicht, wo sie lebte, was ihr passierte oder wer ihr das Leben schwer machte. Aber ich wusste, wer sie ist.

Und genau das hat mir gereicht, um zu beginnen.

Bevor ich auch nur geplottet oder ein einziges Kapitel geschrieben habe, habe ich mehrere Seiten über Alex verfasst – wie sie aussieht, wie sie spricht, was sie denkt, und wie sie in bestimmten Situationen reagiert. Und das alles nicht als Steckbrief – sondern als kleine Szenen, in denen sie einfach sie selbst sein durfte.

Ich habe ihr zugehört, beobachtet, wie sie sich bewegt, was sie sagt und was sie lieber nicht sagt. Und irgendwann, ganz nebenbei, wusste ich: Sie ist echt. Sie lebt. Jetzt kann ich ihr eine Geschichte zumuten.

Weil ich von Rainer Wekwerth lernen durfte und fest daran glaube, dass eine Geschichte von innen heraus funktioniert – und nicht von außen gebaut werden kann.

Wenn ich meine Hauptfigur wirklich kenne, trägt sie den Plot fast wie von selbst. Okay, ganz so einfach wie es klingt, war es für mich nicht. Dennoch, ihre Entscheidungen sind nicht nur logisch, sondern fühlbar. Und wenn ich mich mal gefragt habe: „Was würde Alex jetzt tun?“, dann fielen mir die nächsten Worte viel leichter.

Hier ein paar Fragen, die mir halfen – ganz ohne Formular:

  • Was will sie unbedingt – und warum bekommt sie es nicht?
  • Was tut sie, wenn sie allein ist?
  • Was macht sie wütend – und was bricht ihr das Herz?
  • Wie spricht sie – gerade wenn es unangenehm wird?
  • Was versteckt sie?

Ich habe gemerkt: Man lernt Figuren am besten kennen, wenn man sie in Alltagssituationen steckt – ganz ohne Handlungsdruck. Alex in einem Café. Alex im Stau. Alex beim Versuch, einem Fremden auszuweichen etc. Klingt harmlos – zeigt aber viel.

Woher ist Alex überhaupt gekommen?

Gute Frage. Ich glaube, sie lag auf der Lauer und hat auf mich gewartet. Ich reise gerne und oft. Aber ich bin kein klassicher Tourist. Ich liebe Authenzität, will die Menschen und ihr Land kennenlernen. Dazu bleibe ich ein paar Wochen dort, lebe mitten unter ihnen. Esse mit ihnen, koche mit ihnen, nehme an ihrem Alltag teil und höre ihre Geschichten. Für mich immer unvergessliche und fantastische Erlebnisse. Und dann gibt diese Momente, die sich irgendwie in mein Innerstes schleichen. Und irgendwann klopfen diese Eindrücke an. Seit ich mit dem Schreiben begonnen habe meist in Form einer Figur. Manchmal bleibt’s beim Klopfen. Manchmal öffne ich. Alex durfte rein. Und manche warten, dass ich ihre Geschichte erzähle. Aber natürlich musst du nicht reisen, um deine Figur zu treffen. Es gibt in deinem Leben unzählige andere Möglichkeiten.

Wenn du schreiben willst, fang einfach an

Ich habe schon immer geschrieben - nur zuvor noch nie einen Roman und schon gar nicht für Publikum. Es hat angefangen in meiner Kindheit mit dem klassischen Tagebuch. Später waren es Erlebnisse, die mich berührt haben oder Geschichten meiner Familie, die ich nicht vergessen wollte. Immer nur im Stillen, immer nur für mich. Schreiben bedeutet für mich, loszulassen. Vom Alltag abzutauchen. Auch "Wilder Creek" war mein Geheimnis. Sogar meine Familie hat davon erst erfahren, als ich fast die Hälfte geschreiben hatte. "Wilder Creek" gehörte nur mir. Mit im Boot saß natürlich auch Rainer Wekwerth, der mich sicher durch den Sturm navigierte. Um mich selbst herauszufordern, neu zu entdecken und einen Traum zu verwirklichen.

Vielleicht triffst du eine Figur, die auch dich hineinzieht. Fang bei ihr an. Schreib sie. Frag sie aus und stecke sie in die absurdesten Situationen. Wenn sie dich interessiert, wird sie vielleicht irgendwann eine Geschichte haben. Und du gehst mit.

Viel Spaß und bis bald,

Boston - der Start von Alex´ Geschichte.